Samstag, Dezember 09, 2017

"Antisemitismuskeule" ?

Etwas Gegenrede: Den Begriff "Antisemitismuskeule" verwende ich nicht und empfehle, ihn exklusiv Zeitgenossen mit archaischen Denkweisen zu überlassen & zu kritisieren:

Der Begriff ist zu albern für ein ernsthaftes Problem, zumal Kritik an Israel zu häufig mit Antisemitismus einhergeht. Und zwar derart häufig, dass sich nicht jeder Falschverdacht als "unbegründet" oder verleumdend abtun lässt, sondern zur Klärung veranlassen sollte.
Alles andere wäre auf dem Hintergrund deutscher Geschichte und weltweiten Antisemitismus unseriös.

Ohnehin lohnt Konsequenz ziehende Überlegung, ob es der Menschheit an Polemik fehlt oder an Verständigung.

Liebe B., zwischen "überdeutlich" und "platt" sollten wir streng unterscheiden, denn wenn "platt" Alltag wird, kann Vernunft nur verlieren. "Plakativ" hingegen sollten wir können, denn auch "Unplattes"/Kompliziertes muss anschaulich sein.
Mal gezeigt am Begriff "Antisemitismuskeule": Wenn dieser Begriff überhaupt Realitätsbezug hat, dann in Gegenrichtung zum unbedachten Sprachgebrauch. Und zwar 6-millionenfach.

Lieber @A..., wer unzutreffenden Antisemitismusvorwürfen begegnen will, überzeugt nicht mit Redewendungen, die von Antisemiten in Umlauf gebracht wurden. Noch perverser "Auschwitzkeule" und auch "Nazikeule", denn wem die Nazi-Vorlieben für Baseballschläger bewusst wäre, assoziiert Keulen anders.

Markus S. Rabanus 2017-12-08 (Facebook-Diskussion)

Montag, April 24, 2017

Ignaz Bubis +++ "Das letzte Gespräch"

Selbstverständlich ist die Dokumentation von Johanna Behre und Andreas Morell wichtig und richtig, aber es schmerzt, denn Bubis war so authentisch, dass er auch von besten Schauspielern überhaupt nicht zu schauspielern ist und auch nur schwer authentisch zu kommentieren, jedenfalls bei enthaltenen Originalaufnahmen. Wie Bubis in Rostock-Lichtenhagen.
Ich hätte damals zerspringen mögen - in meinem Sessel - vor meinem Fernseher, was mir über gesteigertes Temperament hinaus eher fremd ist, aber diese Momente in seinem Gesicht und den Worten inmitten dieser surreal-realen Welt - nicht dieser Idioten, die da zündelten, sondern dieses Staates wie aus Komplettversagern - und wir wussten noch nicht, dass es für niemanden politische, dienstrechtliche oder strafrechtlich Konsequenzen hatte, "weil verjährt".
Das ließ man verjähren. Und man hätte es ahnen müssen und hindern, als Bubis in Lichtenhagen ...

Bubis ist so ganz ähnlich wie Reich-Ranicki, viel zu gescheit für den flachen Streit und doch irgendwie deshalb Verlierer, weil ihnen ernst ist, etwas für wichtig zu halten, auch ohne genau zu wissen, ob und wie es geht - und was dann noch fast jeder anders versteht.
Das macht solchen Menschen Einsamkeit, die durch keine Gesellschaft zu trösten ist.

Und damals auf der anderen Seite Walser, dem es so leid tut, die gebotene Hand nicht angenommen haben, als es noch ging, weil zu eitel oder zu ehrlich tief verletzt von der Kritik vieler, die zuvor noch in der Paulskirche applaudiert hatten, wie sie aber doch immer tun, wenn irgendwie einer von ihnen.
Auch das macht untröstliche Einsamkeit. Über das eigene Ungeschick und einen entscheidenden Zeitpunkt verpasst zu haben - trotz aller Nachdenkerei.

Aber intellektuell alle überfordert vom Dilemma, die solcher Größenordnung eigen ist - was eben bei vielen die Neigung steigert zum Plätten und auch zum Instrumentalisieren.
Die wenigen Mensch', die das Dilemma an sich zu meistern versuchen, damit daraus kein Unfug wird, müssen offenbar scheitern, aber daran NICHT zu zerbrechen, wäre bestes Recht.
Das hätte ich ins Ohr flüstern mögen. Aber auch ich war damals eher ratlos, zu empört, wenngleich ich sofort Antifaschismus.de registrierte und über die Schuld schrieb.

Künftige Generationen und Historiker werden es leichter haben und es sich hoffentlich nicht zu leicht machen, denn was da "Zivilisationsbruch" genannt wird und war, war eben auch inmitten zivilisierter Menschen und Staaten - nicht unmöglich.

Freitag, Februar 24, 2017

Zum Berliner Holocaust-Mahnmal aus heutiger Sicht

Mit meinen Gefühlen weiß ich mich nie allein, aber sie sind deshalb nicht allgemein.
Wenn ich Gefühle überdenke, dann sind sie im Wandel. Auch nicht jeden Tag gleich ...

Was "die meisten" fühlen, glauben, denken, ist gewiss von politischer Bedeutung, aber eben auch Zeitgeist. Da war es nicht 72 Jahre lang gleich, sondern Jahrzehnte des Ringens, die Shoa überhaupt wahrzunehmen.
Und der Umgang damit war immer im Streit, denn es gibt eben auch viele Perspektiven: Die Opferperspektive, die Perspektive der Täter, der Mitläufer, der Ahnungslosen und Gleichgültigen, der Widerstandskämpfer, Nachgeborenen - und alle mit eigenen Vorstellungen, mit eigenem Empfinden für Schuld, Scham, Schmerz und Verantwortung.

Die Perspektivenvielfalt müsste jedem konstruktiv sein,
- wenn wirklich zugehört würde und die Aufrichtigkeit geprüft,
- wenn weniger irrwegige Gewissheit wäre, eine Endlösung für die "Endlösung" zu kennen, denn wir können immer dazu lernen
- und leichter, wenn wir riskieren, unsere Irrtümer in Texten festzuhalten,
- wenn wir die Texte wenigstens minimalistisch testen, wie es denn um die Gegenthese bestellt wäre.

Dem halten meine kritischen Texte vor dem Berliner Mahnmalsbau nicht stand. Schon erst recht den Erfahrungen, ob allein oder mit Berlin-Gästen im Holocaust-Mahnmal.
Und wir fanden stets wieder heraus, denn die Stätte hat viele "Auswege" - so anders als die Vernichtungslager. Immerhin.

Ist Versöhnung Ausweg? Das ist sie oft. Und entsprechend war meine Mahnmals-Forderung früher in gut gemeinter Stellvertretung für beiderlei Kreise, die sich jüdisch oder nichtjüdisch identifizieren, obgleich solch' Unterschied mir kein Gegensatz ist, den der Antisemitismus daraus zu Menschenasche machte. Und Wiedergutmachung unmöglich.
Denn wie wäre mir zumute, wenn mir ein Land die Lieben gemordet hätte und Jahrzehnte später die Hand zur Versöhnung reicht?
Wahrscheinlicher wäre ich empört, denn den Opfern gebührt der höchste Stellenwert, folglich das Schuldanerkenntnis dieser Unverzeihlichkeit- und die Zusicherung, dass es nie wieder passiert.

Die Welt braucht so viel Versöhnung und Vergebung, wenngleich begangenes Unrecht millionenfach bleibt - und wohl auch das Dilemma..

Machen wir jemanden tatsäch krank, wenn den Opfern höherer Stellenwert gebührt als den Befindlichkeiten von Menschen, die sich mit Fußball-Helden identifizieren dürfen, nicht aber mit Juden in Viehwaggons?
Hmm, sensible Menschen kann passieren, dass sie leiden. Dann fragt sich, ob Mitleid oder Selbstmitleid, denn daraus ist eher der Scheideweg von gesund und ungesund.

Mitgefühl ist häufig spontan, auch verlernbar, aber auch erlernbar. Opfern emotional und politisch Beistand zu leisten, ist ebenfalls erlernbar, macht Sinn. - Dann steht der Mensch als Mensch vor den Opfern einer Geschichte und Politik derer, denen "Identitäres" genetischer ist als es dem Intellekt sein dürfte. Und es schadet überhaupt nicht, im ganzen Leben auch daran immer wieder zu arbeiten. Zumal der Leichtigkeit bewusst, wenn wir im Frieden und einigem Wohlstand leben. Und in der Freiheit, dass wenn wir die Sonne genießen möchten und keinen etwaigen Menschheits-Verdruss durch Gedenken an Menschheitsverbrechen, dann eben einen Bogen um die Erinnerung machen, indem wir umschalten oder auf den Fernsehturm gehen.

Bereut hat den Besuch des Berliner Holocaust-Mahnmals von meinen Gästen jedenfalls noch niemand - und von mir vermutlich auch nicht den Eindruck, dass ich in Scham versunken wäre, sondern eher stolz darauf, dass sich mein Land der Schande dieses Verbrechens an derart prominenter Stelle mit doch recht umfänglichen Aufwand stellen.

Es ist doch so, dass der Shoa auf viele Weise gedacht werden kann, also auch darf. Konzeptvergleiche mögen lohnen, aber oft könnte stärkere Betonung auf Ergänzung oder einfach auf "Beitrag" und weniger an Konkurrenz festgehalten werden, in denen die Versionen entstanden.

Liebe Grüße aus Pankow!

Dienstag, Januar 17, 2017

NPD-Verbot erneut gescheitert (vorläufige Urteilskritik)

Das Bundesverfassungsgericht ließ den Verbotsantrag im Wesentlichen daran scheitern, dass die NPD zu bedeutungslos sei, um sich mit ihrer Programmatik durchsetzen zu können.
Solche Begründung überrascht und verblüfft rechtsdogmatisch, als dürfe auf Verfassungswidrigkeit nach dem Opportunitätsprinzip bloßen Ordnungswidrigkeitenrechts erkannt werden, als sei die Aberkennung von Parteiprivilegien gleichbedeutend mit Gesinnungsjustiz - und überzeugt auch in weiteren Entscheidungsgründen entweder gar nicht oder zumiindest auf Anhieb nicht.
Gleichwohl soll nach dem ersten Schock zunächst gründliche Auseinandersetzung mit der Argumentation des höchsten Gerichts unseres Landes sein.
Dass sich die unterlegenen Antragsteller (Bundesrat, einige Bundesländer) nach der Urteilsverkündung zufrieden präsentierten, scheint mir nur unter dem Aspekt nachvollziehbar, die Niederlage verharmlosen zu wollen.
Dass viele Kommentare wichtiger Medien das Urteil gut heißen, setzt die Tradition von Fehleinschätzungen hinsichtlich des partei-organisierten Rechtsextremismus und des allgemeinen Rechtsextremismus fort.

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-004.html